GEFÄSSLOKALISIERUNG IM ABDOMEN Eine osteopathische und sonographische studie

Praxis Veröffentlicht am 12.01.2022

"The rule of the artery is supreme".

Dieser Satz ist wohl einer der markantesten, der A.T. Still uns hinterlassen hat: "Stellen Sie die korrekte Zirkulation der Körperflüssigkeiten durch das richtige Druckverhältnis wieder her, und Sie haben die Homöostase wiederhergestellt, was dem Patienten helfen wird, seinen guten Gesundheitszustand wiederzuerlangen". Das Selbstheilungsprinzip der Osteopathie spiegelt sich darin vollständig wider.[1].

Paul Chauffour war einer der ersten Osteopathen, der davon ausging, dass die Behandlung der Arterie sich auf die Arterie selbst beziehen kann - und sogar sollte[2]. Wie wir in einem früheren Buch dargelegt haben[3], ist die Arterie eine Struktur aus Bindegewebe, in der sich eine osteopathische Läsion befinden kann. Diese Fixierung äußert sich in einer Entzündung, einem Spasmus oder einer Fibrose der Tunica arteriae und geht häufig mit einer erhöhten Mechanosensibilität der sympathischen Begleitnerven der Arterie einher. Bei der Methode des Lien Mécanique Ostéopathique (LMO) wird eine osteopathische Läsion der Arterie durch den Gewebespannungstest diagnostiziert und ihre Behandlung durch die Recoil-Technik durchgeführt.

 

[1] AT Still, Philosophie der Osteopathie.

[2] In der gängigen osteopathischen Praxis bedeutet die Wiederherstellung einer korrekten Zirkulation schlicht, die Gewebeumgebung der Arterie zu befreien. Dies ist eine gute Absicht, aber nicht immer ausreichend, da in vielen Fällen auch die Arterie selbst behandelt werden muss.

[3] Le Lien Mécanique Ostéopathique, arteries et système neuro-végétatif, Editions Sully, 2009.

Paul Chauffour DO, Pionier des Ansatzes der Arterien in der Osteopathie

 

 

 

Vorteile der osteopathischen Behandlung von Arterien

1. Vaskularisierung von Gewebe/Organen und Erleichterung des venösen Abflusses

Die Arterie versorgt die Zellen und Organe mit Nährstoffen, während die Vene die Katabolite sammelt und abtransportiert. Häufig wird die Arterie von einer oder zwei Venen und einem oder mehreren Nerven (dem Gefäß-Nerven-Bündel) begleitet. Arterien und Venen werden durch Bindegewebsbänder zusammengehalten, so dass das Schlagen der Arterie auch beim venösen Rückfluss eine wichtige Rolle spielt (arterieller Restdruck) (unterstützt durch den Schub der Muskelkontraktionen und die Thoraxaspiration).

Für den Osteopathen ist es zwar wichtig, Gewebe mit Stauungserscheinungen über die lympho-venösen Wege zu drainieren, doch ebenso wichtig ist es, auf eine gute Vaskularisierung zu achten und das Gewebe, sei es muskulär, neurologisch oder viszeral, zu "reanimieren", damit es seine volle Vitalität zurückerlangt. In dieser Hinsicht ist der Ernährungsfaktor das Hauptinteresse bei der Behandlung des arteriellen Gewebes.

Außerdem wirkt sich das Lösen einer arteriellen Fixierung immer positiv auf die Satellitenvene(n) der Arterie aus, insbesondere wenn die Vene direkt von der Arterie komprimiert wird[1].

 

 

2. Neuro-vegetative Regulation

Das Gefäßsystem kann nicht vom autonomen Nervensystem getrennt werden, da es eine enge Beziehung zu den orthosympathischen Fasern hat, die die Arterien begleiten, und den viszeralen Plexi gibt, die sich an der Wand der Bauchaorta befinden.

Das bedeutet, dass wir jedes Mal, wenn wir an einer Arterie arbeiten, das autonome Nervensystem direkt ansprechen[2].

Wenn wir mit der Recoil-Technik einen Arterienabschnitt lösen, der eine Fixierung aufweist, wird es also einen doppelten Effekt geben:

- strukturelle Wirkung auf die Arterienwand

- neuronale Wirkung auf die orthosympathischen Fasern, die die Arterie begleiten, und/oder auf den Nervenplexus in diesem Bereich.

 

3. Biomechanik der Gelenke

Die Arterie kann für die Bewegungseinschränkung eines Gelenks verantwortlich sein (zusätzlich zu den ligamentären, faszialen und muskulären Elementen)[3] . Die großen arteriellen Gefäße verlaufen immer auf der "Beugeseite" des Gelenks, was bedeutet, dass eine Gefäßfixierung ein Hemmnis für die physiologische Wiederherstellung dieses bestimmten Gelenks darstellen kann. So wird eine Fixierung der Arteria poplitea die Streckung des Knies einschränken, eine Fixierung der Arteria vertebralis die kontralaterale Neigung des Halses usw. Im Falle einer Einschränkung führt die spezifische Anpassung der Arterie durch einen Recoil zu einer sofortigen Verbesserung des Bewegungsumfangs und der Qualität der Gelenkbewegung.

 

4. Viszerale Biomechanik

Die großen Arterienäste stellen in der Osteopathie die Achse der Mobilität und Stütze eines Organs (Herz, Lunge, Nieren usw.) dar, und jede osteopathische Läsion auf dieser Ebene kann sich auf die viszerale Mobilität auswirken. Darüber hinaus können bestimmte Fixierungen der Arterie eine komprimierende Wirkung auf ein Viszerum haben, wie z. B. die Arteria mesenterica superior, die den Zwölffingerdarm komprimieren kann (Mesenterialklemme).


 

[1] Beispiele hierfür sind die Kompression der linken Nierenvene durch die Arteria mesenterica superior (Nussknacker-Syndrom) oder die Kompression der linken Beckenvene durch die rechte Beckenarterie (May-Thurner-Syndrom), zwei klinische Entitäten, die im Hintergrund viel häufiger vorkommen, als man denkt. Diese beiden Syndrome, die durch Osteopathie leicht zu beheben sind, werden Gegenstand eines späteren Artikels sein.

[2] Dies erklärt auch zu einem großen Teil die Effektivität unseres vaskulären Ansatzes.

[3] Diese Einschränkung ist eher ein Schutzreflex als eine anatomische Bremse. Da die Arterie eine lebenswichtige Struktur ist, die nicht überdehnt werden sollte, schränkt das Gelenk seine Bewegung natürlich ein, um sie zu schützen.

Palpation der Bauchaorta

 

 

Lokalisierungspunkte der Gefäße im Bauchraum

Die erste Voraussetzung für einen korrekten osteopathischen Test einer Arterie ist die genaue Lokalisierung der betreffenden Struktur. Da die Bauchaorta und ihre Äste sehr tief liegen, kann man nicht sicher sein, dass man wirklich die Arterie kontaktiert!

In dieser Studie haben wir uns bei der Suche nach vaskulären Anhaltspunkten auf die topografische Anatomie, den arteriellen Puls und die im LMO verwendeten "Hauteinziehungen" bezogen. Bei der Oberflächenanatomie kann man beobachten, dass das Hautrelief mit dem der darunter liegenden Strukturen übereinstimmt. Die Technik der Hauteinziehungen besteht darin, sehr oberflächlich über die Haut zu gleiten, um an der Oberfläche das Relief der tiefer liegenden Strukturen wahrzunehmen. Dieser originelle Ansatz ermöglicht es, die Lage einer bestimmten anatomischen Struktur (Knochen, Organe, Arterie usw.) schnell und genau zu lokalisieren[1] .

 

Man kann sich zu Recht fragen, ob diese Ortungstechnik, bei der die Hautoberfläche zum Auffinden einer tiefer liegenden Struktur verwendet wird, objektiv ist? Um diese Frage zu beantworten, hat ein Team italienischer Osteopathen eine Studie durchgeführt, um die Genauigkeit der vaskulären Landmarken des Abdomens, die mit der Technik der Hauteinziehungen gefunden wurden, per Ultraschall zu überprüfen. Wir stellen hier eine Zusammenfassung dieser Studie vor[2] .

 

Ausgewählte vaskuläre Orientierungspunkte

Die für diese Studie ausgewählten Gefäße - Truncus coeliacus, Arteria mesenterica superior, Arteria mesenterica inferior, rechte und linke Nierenarterie, Aortenbifurkation - sind für die osteopathische Praxis von großem Interesse und gleichzeitig im Ultraschall gut sichtbar.

Die ausgewählten Gefäßmarkierungen entsprechen den Ausgangspunkten dieser verschiedenen Aortenäste.

 

Die Ultraschalluntersuchung

Bei dieser diagnostischen Bildgebungsmethode, die auf der Verwendung von hochfrequenten mechanischen Wellen (Ultraschall) beruht, werden die Reflexionen "gelesen", die der Ultraschall beim Durchdringen von biologischem Gewebe erfährt.

Die Untersuchung der Bauchgefäße ist ein integraler Bestandteil der Ultraschalluntersuchung des Abdomens. Es handelt sich um eine nichtinvasive diagnostische Untersuchung, bei der sowohl die Aorta in ihrem Bauchabschnitt als auch ihre Hauptäste untersucht werden.

Mithilfe des Ultraschalls können der Verlauf, das Kaliber und eine eventuelle Verengung dieser Arterien dargestellt werden.

Die Untersuchung wird mit einer niederfrequenten (2-5 MHz) Konvexsonde durchgeführt, wobei der Patient in Rückenlage gebracht wird.

Die am häufigsten verwendeten Methoden sind : B-Mode-Ultraschall, Farbdoppler.


 

[1] Die Technik der Hauteinziehungen wird in unserem Buch Le Lien Mécanique Ostéopathique, théorie et pratique, Editions Sully, 2003 und in dem Blogbeitrag : Die LMO-Lehre beschrieben.

[2] Diese Abschlussarbeit des osteopathischen Studiums CERDO, Etude ostéopathique-échographique des repères vasculaires de l'abdomen, C. Pettruci, S. Diotallevi, F. Matteoni, 2021 ist in ihrer Gesamtheit in unserem Publikationsbereich verfügbar.

 

Studie zur Zuverlässigkeit von Gefäßlokalisierungen im Abdomen

Ziel der Studie

Ziel dieser Studie ist es, die Zuverlässigkeit bestimmter osteopathischer Gefäßlokalisierungen im Abdomen zu validieren, die manuell mit der LMO-Methode identifiziert und anschließend mit Ultraschall verifiziert wurden.

 

Auswahl der Patienten

Insgesamt wurden 33 Patienten, 17 Frauen und 16 Männer, im Alter von 4 bis 91 Jahren, Durchschnittsalter 41,69 Jahre, untersucht.  Es gab keine Ausschlusskriterien bezüglich Alter, Krankheit, Operationsergebnis oder Körpermerkmalen, so dass die Patientenstichprobe möglichst zufällig war und dem täglichen Patientengut einer/s Osteopathin/en ähnelte. Obwohl ein sechsstündiges Fasten für eine bessere Bildgebung durch Abdomen-Ultraschall empfohlen wird, wurde entschieden, diese Angabe wegzulassen, um das manuelle Suchverfahren unter den üblichen Bedingungen einer Konsultation durchzuführen.

 

Materialien und Methoden

Die Studie wurde in der INI-Klinik in Grottaferrata unter Mitwirkung von Prof. Magnani Gabriella, Leiterin der Ultraschallabteilung und Professorin für Chirurgie an der Fakultät für Pflegewissenschaften der Universität Tor Vergata, durchgeführt.

Jeder Patient wurde in Rückenlage auf dem Untersuchungstisch beurteilt.

Alle ausgewählten Orientierungspunkte wurden von den OperateurInnen manuell identifiziert und mit einem dermografischen Stift markiert.

Sobald die Markierungsphase abgeschlossen war, ohne den Patienten zu bewegen, positionierte der/die UltraschallspezialistIn die Ultraschallsonde auf den markierten Punkten, um deren anatomische Übereinstimmung zu überprüfen.

Das für die Ultraschalluntersuchung verwendete Instrument war die Hitachi Aloka arietta V 60 Sonde.

Für jeden Orientierungspunkt wurde eine Messung des Abstands zwischen der Mitte der Ultraschallsonde und der von den OsteopathInnen angefertigten dermografischen Stiftmarkierung in cm vorgenommen.

 

 

Ergebnisse

Analyse der Daten

Die folgende Tabelle zeigt die Übereinstimmung zwischen den manuellen und den Ultraschallmarkierungen bei jedem Patienten.

Die Zahl 0 zeigt an, dass die beiden Orientierungspunkte perfekt übereinstimmen.

Positive Zahlenwerte geben die gemessene manuelle Fehlerspanne in cm an.

NV zeigt Orientierungspunkte an, die mit Ultraschall nicht sichtbar sind.

Die prozentuale Übereinstimmung (Zuverlässigkeit) für jede Markierung ergibt als Ergebnis :

- der Truncus coeliacus 91%.

- die Arteria mesenterica superior 78%.

- die rechte Nierenarterie 100%

- die linke Nierenarterie 97%

- die Arteria mesenterica inferior 90%

- die Aortenbifurkation 88%.

Der Gesamtdurchschnitt der Übereinstimmung lag bei 91 %.

 

Wenn man die Daten in der obigen Tabelle analysiert, stellt man eine Fehlerspanne zwischen 0,5 cm und 2,5 cm fest.

Die beiden einzigen Fehler mit einem Rand von mehr als 1 cm wurden bei der Suche nach dem Anhaltspunkt für die Aortenbifurkation gemacht. In beiden Fällen fiel er mit der Bauchnabel zusammen.

Bei Patient 4, einem 34-jährigen Mann, 107 kg, Größe 175 cm, wurde der Fehler dadurch verursacht, dass das Abtasten aufgrund eines großen Fettpannikels so schwierig war, dass wir die Markierung nicht erreichen konnten. Echographisch wurde derselbe Punkt mit Schwierigkeiten innerhalb des Bauchnabels gefunden.

Dieser Fehler könnte als "NR" osteopathisch nicht gefunden katalogisiert werden.

Bei Patient 20, einer weiblichen Person, 32 Jahre alt, 66 kg, 168 cm groß, stimmte die Markierung der Aortenbifurkation mit dem Nabel überein.

Schlussfolgerung

Wenn man die erhaltenen Ergebnisse analysiert, kommt man zu dem Schluss, dass die Studie einen hohen Prozentsatz an Echokorrespondenz mit den manuell gefundenen Markern zeigt und somit die Zuverlässigkeit der Markierung von Gefäßlokalisierungspunkten mit der LMO-Hauteinziehungsmethode bestätigt.

Man darf nicht vergessen, dass der Prozentsatz der Übereinstimmungen direkt proportional zur manuellen Erfahrung des Anwenders ist.

Wir glauben und hoffen, dass diese Studie sowohl für pädagogische Zwecke (Schulung der Hand bei der Palpation) als auch für klinische Zwecke (bessere Wirksamkeit osteopathischer Gefäßtests) interessant sein könnte.


 

 

 

Abschlussarbeit C.E.R.D.O. Rom, akademisches Jahr 2020/2021

Lehrer: Claudio Petrucci

Operatoren: Silvia Diotallevi, Fabio Matteoni