Osteopathische Behandlung von vaskulären Kompressions syndromen im Bauchbereich

Klinik Veröffentlicht am 21.11.2022

Während Still der Arterienregel stets große Bedeutung beimaß, richten sich die meisten manuellen Techniken, die derzeit zur Erleichterung des Rückflusses angeboten werden, in erster Linie an das venöse und lymphatische System. Es mag kontraintuitiv erscheinen, die Arterie zu beeinflussen, um den Rückfluss zu verbessern , auch wenn die verschiedenen Komponenten des Gefäßsystems anatomisch und funktionell miteinander verbunden sind. Und doch ist die Regel der Arterie nicht das oberste Gebot !?

Um die Relevanz des osteopathischen Konzepts zu verdeutlichen, wollen wir uns anschauen, wie sich in der Praxis die Behandlung einer Arterie als Lösung für ein Problem des venösen Rückflusses erweisen kann. 

 

Das Arteria-mesenterica-superior-Syndrom

Klassischerweise als Nussknacker-Syndrom beschrieben, kann die Mesenterialklemme ein vaskuläres und/ oder digestives Krankheitsbild erzeugen.

Beim vaskuläres Krankheitsbild komprimiert die Arteria mesenterica superior die linke Nierenvene mit verschiedenen möglichen Symptomen wie Kreuzschmerzen (links+), Beckenkongestion (1), Varikozele, Dyspareunie, Dysmenorrhoe (2), orthostatische Müdigkeit oder, bei einigen ausgeprägteren Formen, Hämaturie.

Beim digestiven Krankheitsbild drückt die Arteria mesenterica superior eher auf den dritten Abschnitt des Zwölffingerdarms, was zu epigastrischen Schmerzen mit Übelkeit, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust führt.

 

[1] Aufgrund von Krampfadern im Beckenbereich, die in direktem Zusammenhang mit einer Verlangsamung des Blutflusses in der linken Ovarialvene stehen. 

[2] Die gynäkologischen Symptome lassen sich dadurch erklären, dass die linke Ovarialvene in die linke Nierenvene mündet. Die rechte Ovarialvene, die direkt in die Vena Cava inferior mündet, ist hier nicht so sehr betroffen.

Während die schwere Form des Arteria-mesenterica-superior-Syndrom glücklicherweise selten ist (1), erweist sich eine Fixierung nach distal der Mesenterialwurzel (mit der dazugehörigen Arterie) als eine osteopathische Läsion, die viel häufiger vorkommt, als man vermuten könnte. In diesem Fall sind die Symptome schleichend und intermittierend, was die medizinische Diagnose umso schwieriger macht. Die Tatsache, dass das Syndrom bei Erwachsenen vorwiegend bei Frauen auftritt, könnte auf den abdominalen Hyperdruck während der Schwangerschaft, und auf die oftmals bei Frauen stärker ausgeprägte Bandlaxität und Lordose als bei Männern zurückzuführen sein. Zu beachten ist, dass auch Diäten mit zu schnellem Gewichtsverlust eine Ptosis des Dünndarms mit Fixierung der Mesenterialwurzel nach distal begünstigen können.

In der Praxis muss man sich für die osteopathische Diagnose zunächst mit den Fingern einem spitzen Kontakt Richtung Mesenterialarterie positionieren (2) und dann einen Traktionstest durchführen. Jeder Widerstand gegen den Test deutet auf einen Verschluss der Mesenterialklemme hin und bestätigt die Diagnose eines Nussknacker-Syndroms. Der Behandler sollte dann die Recoil-Technik anwenden, um die linke Nierenvene und/oder den Zwölffingerdarm, die zusammengedrückt waren, zu befreien.  

 

 

[1] Die Behandlung von schweren Formen des Nutcraker-Sydroms ist noch nicht gut kodifiziert: Operation, endovaskuläre Stent oder Therapieverzicht.

Nutcracker syndrome: a rare cause of abdominal pain in adults that shouldn't be ignored. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8180005/

[2] Die Arteria mesenterica wird mit Hilfe der Technik der Hauteinziehungen lokalisiert, einer originalen LMO-Technik, deren Zuverlässigkeit durch Ultraschall objektievbar ist. https://lmosteo.com/les-reperes-vasculaires-de-l-abdomen

 

Test der Mesenterialklemme 

 

Klinische Fälle 

Eine junge Patientin klagt seit Jahren über Kreuzschmerzen mit Schweregefühl und Schmerzen im Becken, die vor der Menstruation verstärkt auftreten (sie nimmt die Antibabypille), sowie über eine langsame Verdauung. Die osteopathische Behandlung mit Befreiung der Arteria mesenterica superior führt zu einer schnellen und dauerhaften Verbesserung aller Symptome.

Eine 81-jährige Patientin leidet seit über 10 Jahren an Schwindel, Müdigkeit und Kopfschmerzen. Sie hat ausserdem eine venöse und lymphatische Insuffisienz der unteren Extremitäten mit Krampfadern, die auf der linken Seite stärker ausgeprägt sind. Osteopathische Tests ergaben eine Fixierung der linken Niere und der Arteria mesenterica superior. Nach einer  einzigen Sitzung hat sie kein Schwindelgefühl mehr, keine Müdigkeit und keine Kopfschmerzen. Nach ihren eigenen Worten "ein Wunder"!

Ein 55-jähriger Patient hatte starke viszerale Schmerzen mit vermindertem Appetit. Nach einem einwöchigen Krankenhausaufenthalt und zahlreichen negativen medizinischen Untersuchungen litt die Person mehrere Monate lang weiter, ohne dass sich die Beschwerden durch eine medizinische Behandlung gebessert hätten. Bei ihrem ersten Besuch bei einem Osteopathen wurde bei der Untersuchung ein Verschluss der Mesenterialklemme festgestellt. Nach der Korrektur dieser arteriellen Fixierung hatte der erleichterte Patient innerhalb weniger Tage wieder einen normalen Appetit. Nach der zweiten Konsultation wurde aller wieder völlig normal.

 

 

Das Vena-iliaca-Kompressionssyndrom 

Bekannt als May-Thurner-Syndrom [1], handelt es sich hierbei um eine Kompression der linken Vena iliaca communis [2] gegen die Vorderseite des 5. Lendenwirbels [3] durch die rechte Arteria iliaca communis. 

 

[1] Das Syndrom wurde 1957 von May und Thurner (USA) anhand eines Obduktionsberichtes beschrieben und ist auch als Cokett-Thomas-Syndrom (Frankreich) bekannt, die 1967 den Mechanismus erklärten. 

[2] In geringerem Masse kann es auch zu einer Kompression der rechten Vena iliaca communis an dieser Stelle kommen.  

[3] Der anteriore Zugang, den wir zur  Untersuchung und Behandlung eines Vena-iliaca-Kompressionssyndroms empfehlen, ist derselbe wie bei der Behandlung einer L5-Antelithésis.

Diese relativ häufige Kompression wird sowohl in der Allgemeinmedizin als auch in der Osteopathie weitgehend unterdiagnostiziert. Eine Mehrheit der Patienten mit Venenstörungen der unteren Extremitäten, insbesondere der linken Seite, kann eine untere Fixierung der Aortenbifurkation aufweisen. Auch hier gilt, dass bei diskreten Formen die Diagnosis in erster Linie osteopathisch gestellt wird. Nach der Lokalisierung der Aortenbifurkation im subumbilikalen Bereich [1], führt der Behandler einen Traktionstest durch, um die Freiheit der vaskulären Strukturen in diesem Bereich zu beurteilen. Fällt der Test positiv aus, genügt es dann, die Fixierung der arteriellen Bifurkation zu korrigieren, damit das darunter liegende Venensystem wieder eine normale Funktion übernehmen kann [2].

 

[1] Siehe oben, Anmerkung und Referenz 4. 

[2] Die osteopathische Behandlung der Aortenbifurkation hat auch eine direkte Wirkung auf den Plexus hypogastricus superior, der ebenfalls zu den Ergebnissen im Urogenitalbereich beiträgt.

 

Test der Aortenbifurkation 

 

Klinische Fälle. 

Eine 50-jährige Patientin leidet an einer chronischen venösen Insuffizienz der unteren Extremitäten, die im linken Bein sehr ausgeprägt ist. Eine sechs Monate zuvor durchgeführte selektive Entfernung von Krampfadern (Phlebektomie) am linken Bein hat nur eine geringfügige Verbesserung der Symptome zur Folge und lässt die Patientin zusätzlich mit elektrisierenden Schmerzen im Bereich des Eingriffes zurück. Die globale osteopathische Behandlung mit einer Befreiung der Aortenbifurkation und der Punkte des in Mitleidenschaft gezogenen Nervus Saphenus löste sowohl die Beinschmerzen als auch die Schwellung des linken Beins sehr deutlich.

Ein 60-j¨hriger Patient mit einer Vorgeschichte von Alkoholismus sucht den Arzt wegen starker Müdigkeit mit einem geschwollenen und schmerzhaften linken Bein nach einer Covid-Episod auf. Er kann nur mühsam gehen und geh tan Krücken. Die osteopathische Diagnose weist auf eine Ptose des Dünndarms und eine Fixierung der Aortenbifurkation hin. Nach zwei Sitzungen geht der Patient wieder normal, ohne Müdigkeit, und das Volumen seines Beines wird wieder fast normal [1].

 

[1] Interessanterweise entspricht die Kontaktzone der Aortenbifurkation in der Akupunktur zwei wichtigen Punkten des Ren-Mai-Meridians (Konzeptionsgefäß), 4 und 5 RM, die dafür bekannt sind, den Blut- und Energiefluss zu verbessern.

Bei jedem Veneninsuffizienzsyndrom sollte man die Möglichkeit einer manuell diagnostizierbaren und reduzierbaren Kompression im Hinterkopf behalten. Und während bestimmte Kompressionspunkte an der unteren Extremität wie das Ligamentum inguinalis, der Hiatus des Adduktorenkanals und der Tarsaltunnel in Betracht werden sollten, darf die Möglichkeit einer Gefäßkompression im Bauchbereich wie die Mesenterialklemme oder die Aortenbifurkation keinesfalls übersehen werden [1].

In der Praxis ermöglicht der spezifische Ansatz des LMO [2] :

- die Technik der Hauteinziehungen zur genauen Lokalisierung potenzieller Kompressionsstellen,

- den Gewebespannungstest zur Diagnose einer möglichen Gefäßfixierung,

- den Test der inhibitorischen Balance, um herauszufinden, in welcher Reihenfolge [3] die verschiedenen vorhandenen osteopathischen Läsionen korrigiert werden müssen,

- den Recoil, um die betreffende Druckstelle zu lösen und den normalen Blutfluss wiederherzustellen.

 

Die Ergebnisse, die durch die spezifische Behandlung der Arteria mesenterica superior und der Aortenbifurkation auf den venösen Kreislauf erzielt werden, bestätigen hier sehr gut Stills Aussage: Die Regel der Arterie ist oberstes Gebots!

 

[1] Und auch auf einer höheren Ebene wie dem Zwerchfell und dem rechten Herzen.  

[2] https://lmosteo.com/diagnostic-et-traitement-de-la-lesion-osteopathique-selon-lapproche-du-lmo

[3] Entgegen der landläufigen Meinung sollte man nicht systematisch ein Behandlungsprotokoll anwenden, das vom Oberlauf (den distalen Venen) zum Unterlauf (dem Herzen) führt. Diese therapeutische Sichtweise entspricht eher einem theoretischen Modell als den tatsächlichen Anforderungen des Körpers. Nur durch den inhibitorischen Balancetest wissen wir, auf welcher Ebene die Behandlung beginnt und wie sie fortgesetzt werden muss. Nur das Gewebe weiß es!

 

Eric Prat DO