Als wir begannen, Lien Mécanique Ostéopathique (LMO)[2] an der Wirbelsäule anzuwenden, war die Grundidee folgende :
1. die klassischen Mobilitätstests durch die Spannungstests am Gewebe sowie
2. die Wirbelsäulenmanipulation durch den Recoil zu ersetzen.
Dieser für die damalige Zeit durchaus neue Ansatz hatte uns erlaubt, die übliche, klassi- sche Art und Weise des Testens und Behan- delns der vertebralen Läsion zu überdenken.
Zu diesem Zeitpunkt änderte sich der technische Ansatz, das biomechanische Modell blieb jedoch bestehen. Man sprach noch immer von Flexion, Extension, Rotation, Lateralflexion oder Translation der Wirbel.
In der Praxis haben wir mit einem globalen Kompressionstest auf die Wirbelfortsätze begonnen, um die Wirbelläsionen zu bestimmen, und zudem analytische Tests von Flexion, Extension, Rotation, Lateralflexion, Translation sowie Dekompression durchgeführt, um die zu behandelnde Läsion zu parametrieren.
Diese Vorgehensweise gab uns viele Jahren befriedigende Resultate [3], da wir damit die Läsionen der Wirbelgelenke ohne die Nachteile oder die Kontraindikationen der strukturellen Osteopathie korrigieren konnten.
Mit der Zeit fiel uns auf, dass bei einigen der Wirbelläsionen die klassischen Beschreibungen der artikulären Dysfunktionen nicht anwendbar waren.
Was nützen die Fryette-Regeln angesichts einer signifikanten apophysären Arthrose, einer lumbo-sakralen Übergangsanomalie, einer Anterolisthesis, einer Wirbelfraktur oder einer schweren Skoliose? Wie soll man im Fall einer Rotation der Wirbel die spezifische, und somit unterschiedliche, Behandlung der Posteriorität einerseits und der Anteriorität andererseits durchführen? Wie geht man mit der Instabilität eines Wirbels um? Was macht man mit einer intraossären Läsion wie z. B. der Torsion eines Wirbels (s. hierzu CO. med 7/2020 „Skoliose: Neue osteopathische Annäherung“) oder der Steife einer spi- nalen Kraftlinie? Wie behandelt man eine Diskusläsion auf spezifische Art und Weise?
Wie geht man mit Wirbelsäulen um, die chirurgische Behandlung erfahren hatten (z. B. Osteosynthese, Diskusprothese, Laminekto- mie etc)? Usw.
Die Antwort auf all diese Fragen kam, als wir aufhörten, die klassischen Tests durchzuführen und stattdessen mit hoher Präzision die Stelle des vertebralen Segments suchten, auf der wir den Recoil anwenden müssen. Uns wurde bewusst, dass es wichtiger ist, den Blockadepunkt (die Läsion) zu bestimmen, als die Bewegungsmöglichkeiten der Wirbel (die Dysfunktion) zu testen.
In der Praxis situiert sich der Blockadepunkt eines vertebralen Segments entweder:
- auf dem Wirbel (artikuläre oder intraossäre Läsion) oder
- im darunterliegenden Wirbelzwischenraum (muskuläre, ligamentäre, neurale oder diskale Läsion).
[1] In diesem Artikel möchte ich das schrittweise Vorgehen wiedergeben, das mich und meine Kollegen von einem klassischen biomechanischen Verständnis (artikuläre Dysfunktion) zum Modell der Gewebeläsion eines Elements des vertebralen Segments führ- te. Es handelt sich dabei nicht nur um einen taktischen Wechsel (Technik), sondern auch um eine Änderung der Strategie (Methode).
[2] S.Artikel, Le Lien Mécanique Ostéopathique : les fondements. Auch : CO.med 12/2020
[3] vgl. zur Wirksamkeit der LMO-Methode:„Reliabilitätsstudie über der Befunderhebung der Wirbelsäule nach der Methode der Lien Mécanique Osteopathique, Master Thesis an der Donau Universität Krems von Claudia Hafen-Bardella, 10.2009“ und „Follow-up-Studie über die Reliabilität der Befunderhebung der Wirbelsäule nach der Methode des Mechanical Link von Laura Kühn, 01.2018“